Erhalten und Pflegen

Der Denkmalgedanke im 19. Jahrhundert

»Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte ...«

Diese Worte des Romantikers Novalis prägten das Mittelalterbild einer ganzen Epoche. Mit dem Mittelalter verband sich für die Romantiker die Sehnsucht nach dem Vergangenen, nach Einheit, Harmonie und einem einfachen, schlichten Leben. Über die wirklichen Lebensverhältnisse der "Vorzeit" wusste man nicht viel. Wichtiger waren die Vorstellungen, die sich mit der »fernen Vergangenheit« verbinden ließen.

Erster Entwurf des Restaurierungsbaus von 1859, Ansicht von Osten mit Querschnitt durchs Langhaus, Ferdinand von Quast. Foto vom Original: Halle, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt, Fotoarchiv

Als sich das politische Klima in Deutschland während des Vormärzes veränderte, Preußen und der Konservatismus für eine neue Ordnung sorgten, bekam auch das Mittelalter eine politische Bedeutung. Die Ständegesellschaft, in der jeder seinen festen, von Gott bestimmten Platz hatte, wurde zur natürlichen Ordnung, zum Vorbild für alle Zeiten erklärt. An ihr zu rütteln, galt als Selbstüberschätzung des Menschen.

Ferdinand von Quast, selbst Konservativer und Mitglied im preußischen Abgeordnetenhaus, hatte eine klare Vorstellung vom Mittelalter. »Christliches wie vaterländisches Bewußtsein«, so seine Ansicht, wirkten damals »in ungestörter Harmonie« zusammen.

Quast, der bei Schinkel (1781 – 1841) studiert hatte und mit einer Arbeit über frühchristliche Kunst bekannt geworden war, suchte in der "Vorzeit" daher nach »Anknüpfungspunkten zur Fortbildung der Neuzeit«. Seine Aufgabe als staatlicher Konservator verstand er genau in diesem Sinne: Indem Quast die Überreste der Vergangenheit vor dem Verfall bewahrte, wollte er seinen Zeitgenossen die einstige Ordnung vor Augen führen und sie neu beleben.

Quasts Walten als Konservator fiel in eine Zeit, in der die Denkmalpflege es als ihre wichtigste Aufgabe ansah, Baudenkmäler in ihre vermeintlich ursprüngliche Form zurückzuführen und aus späteren Epochen stammende Zusätze zu entfernen. Einzelne Stilepochen wurden zu einem Vollkommenheitsideal stilisiert. Ziel der Denkmalpflege war es seit 1850, die überlieferten Bauwerke als vollkommene Kunstwerke in diesen Gedanken zu integrieren, statt sie in ihrer überlieferten Gestalt als historische Quelle zu begreifen.

Quast distanzierte sich von dieser gängigen Praxis und verteidigte die Vielfalt, die innerhalb eines Bauwerkes repräsentiert war. Für ihn stellte jedes einzelne Monument ein lebendiges Zeugnis der Vergangenheit dar.

Anhand der Spuren, die die Zeit an einem Bauwerk hinterlassen hatte, sollte der aufmerksame Betrachter die Geschichte unmittelbar erfahren können: »Wir dürfen der Geschichte nicht so ins Angesicht schlagen, alle ihre Spuren zu vernichten und so die Fäden zerreissen, die uns mit der Vorzeit in organische Verbindung setzen.« Dennoch war auch Quasts Vorstellung vom Mittelalter stark idealisiert. Am Beispiel der Restaurierung der Gernröder Stiftskirche wird deutlich, dass Quast in den Bauwerken des Mittelalters eine bessere Vergangenheit erblicken und darstellen wollte. Entsprechend dem Geist der Zeit hatte er sich noch nicht vom historistischen Gedankengut befreit.

Erster Entwurf des Restaurierungsbaus von 1859, Grundriss, Ferdinand von Quast. Foto vom Original: Halle, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt, Fotoarchiv

Ferdinand von Quasts Pläne sahen eine Erhöhung der Türme vor, um den monumentalen Eindruck der Kirche zu betonen. Auch die Stiftsgebäude sollten restauriert und durch Gärten zu einer Gesamtanlage verbunden werden. Diese Pläne scheiterten an statischen Problemen und Kostenfragen.

 

 

Home