Erinnern und Gedenken

Die Gemeinschaft der Lebenden und Toten

Urkunde Ottos I. für Gernrode vom 17. Juli 961. Oranienbaum, Anhaltisches Gesamtarchiv, Urkunden 1 Nr. 6

Ein Mittelpunkt des geistlichen Lebens der Stiftsbewohner war das Gedenken an die Verstorbenen (Memoria). Das Grabmal Geros vor dem Aufgang zum Altarraum erinnert daran noch heute.

Die Bestätigungsurkunde für das Stift aus dem Jahr 961 nennt das Gebetsgedenken als Hauptaufgabe der Gründung.

 

 

Notum sit omnibus nostris fidelibus presentibus scilicet et futuris, quod Gero [marchio] ad urbem quae vocatur Geronisroth ad monasterium, quod ille et suus filius Sigifrithus habent constructum, totam suam tradiderunt hereditatem, uterque ill[orum cum con]sensu alterius, ob remedium animae nostrae filiique nostri, videlicet regis, et pro se et Sigifrido Geroneque et omnibus suis debitoribus vivis et defunctis. »Es sei allen unseren gegenwärtigen und zukünftigen Getreuen kund, dass [Markgraf] Gero an dem Ort, der Geronisroth genannt wird, dem Kloster, das jener und sein Sohn Siegfried dort errichtet haben, ihr ganzes Erbe übertragen haben, jeder mit Zustimmung des anderen, zu unserem und unseres Sohnes, nämlich des Königs, Seelenheil, sowie für sich selbst und für Siegfried und Gero und für alle seine lebenden und toten Schuldner.«

Das Gerograb in der Vierung. Foto: Wolfgang Fischer, Quedlinburg

 

Was bewog den Markgrafen Gero, ein Stift für das eigene Gedenken zu errichten? Der Tod war im Mittelalter allgegenwärtig. Jede Krankheit, jede Verletzung konnte das baldige Ende bedeuten. Dies beeinflusste das Verhältnis zu den Verstorbenen, die als rechts- und handlungsfähige Personen Teil der Gemeinschaft blieben. Die mittelalterliche Gemeinschaft der Lebenden und Toten manifestierte sich im Gebetsgedenken. Im täglichen Stundengebet wurden die Namen von Verstorbenen oder Abwesenden aufgerufen. Die Genannten wurden damit nach zeitgenössischer Vorstellung vergegenwärtigt und nahmen an der gemeinschaftlichen Feier teil.

Besonders intensiv wurde der Toten in den Vigilien gedacht. Die Vigilie, ein nächtlicher Trauer- und Gedenkgottesdienst am Jahrestag des Todes eines Verstorbenen, war exklusiv dieser Person gewidmet. Aus Gernrode ist ein Vigilienbuch überliefert, in dem mehr als 130 Personen namentlich verzeichnet sind.

Vigilienbuch des Stifts Gernrode (15. Jh.). Oranienbaum, Anhaltisches Gesamtarchiv, Neue Sachordnung, Nr. 427, fol. 6 v – 6a r

Im Vigilienbuch finden sich auch Eintragungen für Gero (20. Mai), Hathui (4. Juli) und Geros Söhne (25. Juni und 16. Oktober).

 

Die Einrichtung des Stifts bedeutete für Gero die dauerhafte Sicherung des Seelenheils. Denn Hathui und ihre Nachfolgerinnen waren verpflichtet, des Stifters und seiner Söhne zu gedenken. Stiftsgründungen erfolgten auch zum Gedenken lebender Personen, denen man besonders verbunden war.

In das Gebetsgedenken zu Gernrode waren auch König Otto I. und dessen Sohn Otto II. ausdrücklich eingeschlossen. Gero ließ sich in der Stiftskirche bestatten. Er ruhte an einem geweihten Ort, in der Nähe einer Reliquie und war ständig Gott und den Heiligen nahe. Im 10. Jahrhundert bemühten sich viele adelige Familien um eine eigene Grablege. Die Sippe Geros gründete außer Gernrode und Frose die Klöster in Gröningen, Nienburg/Saale und Alsleben. Die Klöster und Stifte führten Verzeichnisse über ihre Gedenkverpflichtungen, entweder in kalendarischer Form wie im Gernröder Vigilienbuch oder als Listen wie im Reichenauer Verbrüderungsbuch.

Links: Reichenauer Verbrüderungsbuch Zürich, Zentralbibliothek, Ms. Rh. Hist 27, pag. 20

Rechts: Vergrößerter Ausschnitt mit den Namen aus der Familie Geros: Gero, Iudita, Sigifrid, Hitta,Thietsuuind. Links davon: Thietmar und Hiltigart, die Eltern des Markgrafen. Die Personen eines solchen Eintrags sollten von den Mönchen des Klosters in ihr Gebet eingeschlossen werden.

Den Memorialquellen - insbesondere dem Reichenauer Verbrüderungsbuch sowie den Totenbüchern aus Lüneburg und Merseburg - verdanken wir unsere Kenntnisse über die Verwandtschaft und die Beziehungen der Gero-Sippe.

 

Merseburger Totenbuch Merseburg, Domstiftsbibliothek, Codex 129, fol. 5 r

 

 

 

 

 

 

Am 1. September eingetragen: Markgraf Gero II. († 1015), der mit seinem Mitstreiter Volkmar und 200 Gefährten den Tod fand.

 

 

 

 

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