Wohnen und Zusammenleben

Freiräume hinter Klostermauern

Stiftskirche von Südosten mit Klausurmauer. Aufnahme: Sönke Nielsen, Göttingen

Nach den Bestimmungen der Institutio sanctimonialium lebten die Stiftsdamen in strenger Abgeschlossenheit (Klausur). Deshalb sollte das Stift mit sehr starken Mauern umgeben und nur durch eine Pforte zu betreten sein.

Innerhalb des Stifts führten die Kanonissen ein gemeinschaftliches Leben (vita communis). Sie schliefen alle in einem Schlafsaal (dormitorium), in dem jede Sanktimoniale ihr eigenes Bett besaß. Stellt man sich die Nacht in zugigen, nicht beheizten Räumen vor, war diese Vorschrift weniger ein weiteres Zeichen des besonders luxuriösen Lebensstils. Die Verfasser der Vorschrift sorgten sich vielmehr um die Keuschheit der Sanktimonialen. Üblicherweise teilten sich im Mittelalter sonst mehrere Menschen ein gemeinsames Bett.

Omnes in dormitorio dormiant, singulae scilicet in singulis lectis. In refectorio quottidiae pariter reficiantur, nisi quam infirmitas aut aetatis inbecillitas id facere prohibuerit.

» Alle sollen im Dormitorium schlafen, jede Einzelne in einem eigenen Bett. Im Refektorium sollen sie täglich gemeinsam essen, wenn dieses nicht Krankheit oder Schwäche im Alter verhindern.«

Aus dem Kapitel X der Institutio sanctimonialium.Würzburg, Universitätsbibliothek, M. p. th. q. 25, fol. 40 v

Die Sanktimonialen wurden aufgerufen, unmittelbar nach dem Abendgebet (Komplet) in den Schlafsaal zu gehen und keine Zeit mehr zum Schmausen, Trinken oder für überflüssiges Geplauder zu verschwenden. Ein Dormitorium wird in Gernrode erstmals 1352 erwähnt.

... nos, videlicet Adelheidis Dei gratia abbatissa, Lutgardis preposita, Agnes decana, Jutta thesauraria totumque capitulum ecclesie Gherenrodensis, volumus pervenire, quod virtuose domi-ne, videlicet domina Agnes nostre ecclesie decana dicta de Merwitz et domina Margareta nostra concanonica dicta de Warin, matertere, pietate mote et animarum suarum salutem sitiente, triginta marcas usualis argenti nostre ecclesie dederunt ad reedificandum domum desertam sitam iuxta dormitorium nostrum, que domus ad nos et ad nobis succedentes perpetue debet pertinere et nostrum erit et esse debet dormitorium estivale.

»Wir, nämlich Adelheid, von Gottes Gnaden Äbtissin, die Pröbstin Lutgard, die Dekanin Agnes, die Schatzmeisterin Jutta und das gesamte Kapitel der Gernröder Kirche, wollen verkünden, dass die tugendhaften Herrinnen, die Tanten, nämlich Agnes, Dekanin unserer Kirche, genannt von Merwitz, und die Herrin Margareta, unsere Mit-Kanonisse, genannt von Warin, von Frömmigkeit bewegt und nach dem Heil ihrer Seelen durstend, dreißig Mark der üblichen Silberwährung dem Stift gegeben haben zum Wiederaufbau des verlassenen Hauses, das neben unserem Dormitorium liegt, damit das Haus für uns und für unsere Nachfolgerinnen ewig erhalten bleiben soll und unser wird und unser Sommer-Dormitorium sein soll.«

aus: CDA IV 47, 5. August 1352. Die Originalurkunde ging im 2. Weltkrieg verloren

Der Speiseraum (refectorium) diente nicht nur für die gemeinsamen Mahlzeiten, sondern auch um dort während des Essens aus heiligen Schriften vorzulesen. In Gernrode ist der Speisesaal 1344 zum ersten Mal erwähnt, als dort die Wahl der Äbtissin stattfand. Während sich andere Stifte für ihre Beratungen einen gesonderten Versammlungssaal leisteten, erfüllte der Speisesaal in Gernrode beide Zwecke.

Urkunde, 18. April 1344. Oranienbaum,Anhaltisches Gesamtarchiv, Urkunden 1 Nr. 772

... et convenientibus omnibus et singulis in refectorio nostro in ipsa feria secunda post dominicam Judica vocem in huiusmodi electione habentibus, ...

»... und da sich alle versammelten und jede in unserem Speiseraum am selben Montag nach dem Sonntag Judica auf diese Weise wählte, ...«

 

Aus dem Gemeinschaftsleben durften sich die Stiftsdamen in private Aufenthaltsbereiche zurückziehen. Den Stiftsdamen der Propstei Frose gewährte Otto II. eigene Wohnungen (Kurien). Auch in Gernrode bewohnten die Sanktimonialen tagsüber vermutlich ihre persönlichen Bereiche.

Wie diese Räume genau genutzt wurden, lässt sich aber aus den wenigen überlieferten Angaben kaum feststellen.Wahrscheinlich waren sie mit eigenem Besitz und privaten Gegenständen eingerichtet. Die Kanoniker des Stifts wohnten in eigenen Kurien außerhalb des Stiftsbezirks.

Urkunde Ottos II. für Frose von 961. Kopie des 14. Jh. Oranienbaum,Anhaltisches Gesamtarchiv, Urkunden 1 Nr. 8

 

Et sicut ab antecessoribus nostris eis est constitutum, sic concedimus et firmiter stabilimus, ut habeant proprias mansiones et albis vestibus induantur, ...

»Und genauso wie von unseren Vorgängern her festgelegt wurde, so gestatten wir [Otto II.] und sichern es fest zu, dass sie [die Sanktimonialen] in persönlichen Wohnungen wohnen und mit weißen Kleidern bekleidet sein sollen ... «

 

 

 

Home Weiter